Sozialer Notstand - Wie sozial sind die Sozialsysteme von Deutschland und Tschechien in Wirklichkeit?

Das Beispiel einer chronisch kranken Frau
mit Brittle-Diabetes und einer Hypoglykämie-Wahrnehmungsstörung

Jedes Jahr sterben in Deutschland zwischen 18.000 bis 30.000 Diabetiker Typ 1 an einer schweren Hypoglykämie

Hintergründe zum sozialen Kahlschlag in Deutschland
Mitursache ist ein Zwei-Klassen-System - Teil 2

Die Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung müssen „ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich“ sein - mehr nicht! Sie dürfen das Maß des Notwendigen nicht überschreiten. Leistungen, die nicht notwendig oder unwirtschaftlich sind, können Versicherte nicht beanspruchen, dürfen die Leistungserbringer nicht bewirken und die Krankenkassen nicht bewilligen (§12 Abs. 1 SGB V). Derartige Leistungen können als individuelle Gesundheitsleistungen von Versicherten auf eigene Rechnung in Anspruch genommen werden. In der privaten Krankenkasse ist der Versicherungsfall hingegen die "medizinisch notwendige Heilbehandlung". Ein Wirtschaftlichkeitsgebot existiert in der privaten Krankenversicherung in dieser Form nicht. Außer den hier deutlich vorgetragenen Privilegien der priviligierte Klasse, ist es aber notwendig festzustellen, warum es in den letzten Jahrzehnten zu dem noch zu einem sozialen Kahlschlag in Deutschland gekommen ist.

Dazu ist es notwendig, die Entwicklung in der Vergangenheit einmal näher unter die Lupe zu nehmen. Ausgehend von den seit dem 19. Jahrhundert im Deutschen Reich geschaffenen Grundlagen wurde die sozialen Absicherung in der Bundesrepublik Deutschland bis in die 1970er weiter ausgebaut. Die Finanzierung dieser Absicherung wurde jedoch seit den 1980er Jahren zunehmend problematisch: Die Arbeitslosigkeit stieg, verursachte hohe Kosten und führte gleichzeitig zu sinkenden Einnahmen aus den Sozialversicherungsbeiträgen. Die entstehenden Defizite wurden durch höhere Staatsverschuldung ausgeglichen.

In den 90er Jahren verschärften mehrere Ereignisse die Situation: Die deutsche Wiedervereinigung, die Einführung des Euro und die wirtschaftliche Globalisierung:

  • Bei der deutschen Wiedervereinigung wurden die beitragsfinanzierten Sozialsysteme stark belastet, weil ihnen versicherungsfremde Leistungen auferlegt wurden, um eine Erhöhung der Staatsverschuldung bzw. Steuererhöhungen zu vermeiden.

  • Durch den europäische Stabilitätspakt wurde das Wachstum der Staatsverschuldung vertraglich begrenzt. Darüber hinaus stiegen durch die Euro-Einführung die Realzinsen für Kredite in Deutschland relativ zum europäischen Ausland.

  • Die härtere internationale Konkurrenz durch die von Seiten der Vertreter des Neoliberalismus propagierte Öffnung der Märkte ohne begleitende Einführung internationaler Standards der sozialen Absicherung, wachsende Produktivität und vergleichbare Bildungssysteme in Staaten mit weit geringeren Löhnen, Steuern und Sozialleistungen verschärfen den Druck auf Wirtschaft und Politik, im Inland Sozialleistungen und Arbeitskosten zu senken. Dadurch sollen Arbeitsplätze in Deutschland erhalten und deren Verlagerung ins Ausland gebremst werden. (Seit 1995 haben z.B. die deutschen Metallarbeitgeber nach eigenen Angaben 50.000 neue Arbeitsplätze im Ausland geschaffen.)

Werden und wurden von diesen gesellschaftlichen und sozialen Veränderungen Personen, deren hohes Einkommen die Pflichtversicherungsgrenze übersteigt, betroffen? Ein klares Nein! Es betrifft und betraff auschließlich die Pflichtversicherten der gesetzlichen Krankenkassen. Außerdem gibt es noch andere Personengruppen, die nicht der Krankenversicherungspflicht unterliegen. In Deutschland werden z.B. im Rahmen der Heilfürsorge (auch freie Heilfürsorge) Krankheitskosten bestimmter Beamtengruppen sowie von Strafgefangenen und Maßregelvollzugspatienten von deren Dienstherrn bzw. den Bundesländern übernommen.

Wie hoch ist die Anzahl der Versicherten der gesetzlichen Krankenversicherung in Deutschland und aus welchen Personengruppen setzt sie sich zusammen? In Deutschland sind das gegenwärtig rund 70 Millionen Bürgerinnen und Bürger, das heißt knapp 90 Prozent der Bevölkerung.

Zum Stichtag 01.02.2010 waren dies:

  • Versicherungspflichtige (ohne Rentner) = 29,71 Millionen

  • Rentner = 16,87 Millionen

  • Freiwillig Versicherte = 4,40 Millionen

  • Familienversicherte = 18,51 Millionen

  • Gesamt = 69,75 Millionen

Für diese knapp 90 Prozent der Bevölkerung gelten in puncto Krankenversicherung auschließlich die Vorgaben "ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich". Hierbei darf das Maß des Notwendigen nicht überschritten werden. Außer der Benachteiligung in den Leistungen der Krankenkasse wird ausschließlich der größte Teil der Bevökerung zudem durch die Veränderung der letzten Jahre betroffen. Wer ein hohes Einkommen hat, das die Pflichtversicherungsgrenze übersteigt, der wird nicht daran beteiligt "die Zeche" für Fehler zu zahlen, die durch die Politik und die Wirtschaft verursacht wurden und werden.

„Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.“ So lautet der Artikel 20 Absatz 1 des Grundgesetzes. Sind die hier zuvor aufgeführten Zustände demokratisch und sozial? Auch lautet der Artikel 3 Absatz 1 des Grundgesetzes "Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich". Im Absatz 3 des gleichen Grundgesetzartikels heißt es:"Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden." Wie sieht es aber in der Praxis tatsächlich aus?

Abstammung: Es fängt schon damit an, in welchem Elternhaus und in welcher sozialen Schicht man geboren wird. Hier werden die Weichen für das Leben gestellt. Wenn ein Kind in einem Elternhaus geboren wird, in dem ein Lebensunterhalt mit einem Einkommen finanziert wird, das die Pflichtversicherungsgrenze übersteigt, dann hat dieser kleine Erdenbürger schon von der Wiege an deutlich bessere Möglichkeiten. Eine solide Schul- und Studienausbildung wird ihm fianziell von seinen Eltern ermöglicht. Wenn dieses Kind heranwächst und diese Ausbildung genießen kann, wird ihm ein Start ins Leben ermöglicht, der dann später ein hohes Einkommen garantiert, das dann ebenfalls die Pflichtversicherungsgrenze übersteigen wird. Kinder, die nicht in einem solchen Elternhaus geboren werden - also nicht diese Abstammung haben - werden es als Erwachsene deutlich schwerer haben, ein Einkommen zu erzielen, das die Pflichtversicherungsgrenze übersteigt. Die Abstammung von den "richtigen" Eltern ist quasi das vererbte Recht, ein Mitglied der priviligierten Klasse zu sein.

Um im Gesundheitssystem wirklich demokratische und soziale Grundsätze zur Anwendung kommen zu lassen, scheint eine grundlegende Reform notwendig zu sein. Die Gesundheitsvorsorge sollte für alle Bürger gleich sein und staatlich von Steuergeldern finanziert werden - vergleichbar mit dem staatlichen Gesundheitssystem in Schweden. Dann würden alle, die Steuern zahlen, auch anteilsmäßig und gerecht zur Finanzierung des Gesundheitssystems beitragen. Zudem würden dann die Fehler von Politik und Wirtschaft nicht mehr nur dem größten Teil der Bevölkerung aufgebürdet, sondern die Last wäre gleichmäßig und gerecht verteilt, da sie alle Bürger betreffen würde. Die Kombination gesetzliche Krankenversicherungspflicht und Versicherungspflichtgrenze ist nicht demokratisch und auch nicht sozial. Dadurch wird ein Zwei Klassen System ermöglicht und weiterhin aufrecht erhalten.

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Letzte Aktualisierung am 13.02.2018

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